Weltwoche Nr, 22. Juli 2010

QUALITÄT KOMMT VON QUAL.

Sie gelten als das kreative Traumpaar der Schweizer Werbung: Danielle Lanz und Markus Ruf. Früher auch privat liiert, haben sie vor knapp zehn Jahren ihre gemeinsame Agentur gegründet. Wo liegt das Geheimnis ihres Erfolgs? Und wie ist man kreativ? Und?

Von Esther Girsberger 

Wie muss man sich eine Welt ohne Werbung vorstellen? 

Lanz: Wir waren mal in Ostdeutschland, als die Mauer noch stand. Es war irritierend ruhig dort, das Stadtbild war grau. Keine Werbung, keine Musik, keine Unterhaltung – und im Schuhladen genau ein Modell pro Grösse.

Ruf: Wenn man Sekt wollte, musste man Rotkäppchen kaufen. Wenn man Schokolade wollte, musste man Schlager-Süsstafel kaufen. Solange es jeweils nur eine Marke gibt, braucht’s keine Werbung. Doch schon bei zwei Marken muss sich jede anstrengen, begehrenswerter zu sein – da kann gute Werbung den Unterschied ausmachen.

Wobei ein Grossteil der Werbung ja ziemlich blöd ist. 

Ruf: Ja, viele werben nach dem Vuvuzela- Prinzip: lärmig, eintönig und nervig!

Lanz: Ich würde sagen, neunzig Prozent der Werbung sind belanglos. Dazu zählen wir auch jene Kampagnen, die krampfhaft lustig sein wollen, aber in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem Produkt stehen. Hier bleibt höchstens der Gag in Erinnerung – nicht die Marke. Wenig anfangen können wir auch mit Provokation als Selbstzweck, zum Beispiel mit der vielzitierten Benetton-Kampagne. Die hat dem Fotografen Oliviero Toscani mit Sicherheit mehr gebracht als Herrn Benetton.

Liegt es nur an den Werbern, dass ein Grossteil der Werbung schlecht ist?

Ruf: Nein, aber auch! Man muss intern streng selektionieren. Für jede Idee, die wir präsentieren, landen zehn weniger gute Ideen im Papierkorb. Qualität kommt manchmal von Qual. Anderseits kann eine Werbeagentur am Ende nur so gut sein, wie ihre Auftraggeber es zulassen. Und da bevorzugen halt viele die vermeintlichen Sicherheitslösungen. Die funktionieren in der Werbung aber genauso wenig wie im Zirkus: Das Publikum möchte spektakuläre Kunststücke sehen, die hoch oben unter der Kuppel vorgeführt werden. Wer das Seil nur zwanzig Zentimeter über dem Boden zieht und auch noch ein Sicherheitsnetz darunter spannt, darf sich nicht wundern, wenn kein Mensch hinguckt.

Lanz: Viele starke Kampagnen werden auch das Opfer von grossen Gremien. Schwierig wird es zum Beispiel, wenn man seine Vorschläge auf einer unteren Hierarchiestufe präsentiert und diese dann intern den Weg nach oben gehen. Da werden in vorauseilendem Gehorsam gerne alle Ecken und Kanten wegpoliert. Was der Entscheider am Ende zu sehen bekommt, ist dann nur noch die zensurierte Version. Schon deshalb sollte Werbung Chefsache sein.

Hat sich das Sicherheitsdenken nicht etwas gelegt, nachdem man heute nur noch mit Provokativem auffällt? 

Lanz: Nein, das Sicherheitsdenken ist in den letzten Jahren eher noch grösser geworden. Das sieht man schon an den vielen Pre-Tests. Dabei wird versucht, im Voraus durch Umfragen herauszufinden, ob eine Werbekampagne ankommt. Zu diesem Zweck legt man dem Zielpublikum Ideenskizzen vor.

Ruf: Das Problem dabei ist, dass Werbebotschaften in Wirklichkeit beiläufig aufgenommen werden. In der künstlichen Testsituation fehlt diese Beiläufigkeit. Wenn Menschen aufgefordert werden, ihre ganze Aufmerksamkeit auf eine Werbekampagne zu richten, werden sie plötzlich zu Musterschülern und suchen streberhaft nach Kritikpunkten. Oft werden gerade jene Punkte kritisiert, die eine Kampagne überraschend und eigenständig machen. Viele unserer erfolgreichsten Kampagnen hätten einen Pre-Test nie überlebt!

Bei der Privatbank Lienhardt & Partner haben Sie die Öffentlichkeit wählen lassen, mit welchen Slogans die Bank werben soll. 

Ruf: Ja, wir haben etwa hundert Schlagzeilen getextet mit der Grundbotschaft «Sicherheit vor schneller Rendite». Rund dreissig haben wir der Geschäftsleitung von Lienhardt & Partner präsentiert, achtzehn davon wurden dann dem wirtschaftsaffinen Publikum von NZZ und Handelszeitung zur Wahl vorgelegt. Die fünf Sujets mit den meisten Stimmen erscheinen seither als Inserate. Die Leserinnen und Leser haben sich übrigens für sehr pointierte Sujets entschieden. Dies zeigt: Das Publikum will nicht gelangweilt werden.

Eigentlich müssten Sie nicht für die Bank Lienhardt & Partner werben, sondern für die UBS. Die hat es nötiger.

Lanz: Ich bin mir nicht so sicher, ob die UBS derzeit eine grosse Werbekampagne nötig hat. Manchmal ist es besser, sich in Bescheidenheit zu üben. Der UBS würden wir empfehlen, den ehemaligen Tagi-Chefredaktor und neuen Kommunikationschef Peter Hartmeier möglichst oft mit guten News vor die Kameras zu schicken. Werbung hat viel mit Psychologie zu tun.

Ruf: Dazu gibt’s ein Beispiel aus den USA. Während der Finanzkrise hatten viele Amerikaner Angst um ihre Jobs. Folglich haben sie den Kauf eines neuen Autos hinausgeschoben. Die Werbeagentur hat Hyundai geraten, eine Versicherung zu gründen, welche das Auto zurücknimmt, wenn der Leasingnehmer in dieser Zeit seinen Job verliert. Das Resultat war, dass Hyundai in der Krise als einzige Automarke zulegen konnte.

Für wen würden Sie keine Werbung machen? 

Lanz: Für politische Parteien. Wenn die Positionierung schwammig ist, kann man auch keine prägnante Werbung machen.

Bei politischen Parteien weiss man nie genau, wofür sie stehen. Wahrscheinlich wissen die Parteien es selber nicht mehr. Und für Zigaretten?

Ruf: Da hätte ich kein Problem. Werbung kann ja niemanden zum Rauchen verführen, sondern nur den Raucher der Marke A dazu bringen, mal die Marke B auszuprobieren. Kreativ spannender wären aber handgerollte kubanische Zigarren.

Ihre Agentur ist von Erfolg gekrönt, Sie werden immer wieder ausgezeichnet und können kaum alle Aufträge annehmen. Selektionieren Sie nach der Höhe des Werbebudgets? 

Ruf: Nein. Wir haben schon grosse Werbebudgets abgelehnt, wenn wir das Gefühl hatten, dass wir und der Kunde nicht zusammenpassen.

Wer passt? 

Lanz: Alle Kunden, die mit überraschender, unterhaltsamer Werbung viel Geld sparen wollen. Weil sie schneller auffällt und länger in Erinnerung bleibt.

Ruf: Neulich haben wir per Mail eine Einladung bekommen, uns an einem Pitch zu beteiligen. Die Ideen sollten innert zehn Tagen zurückgemailt werden. Es war kein Kennenlerngespräch möglich, keine Besichtigung des Unternehmens, keine Demonstration des Produkts. Unter solchen Voraussetzungen kann einfach nichts Schlaues entstehen. Man kann Werbung nicht einkaufen wie Schrauben.

Pitchen Sie überhaupt? 

Ruf: Pitchs sind wie Castingshows. Es herrscht immer eine Riesenaufregung – und am Schluss gewinnt meistens langweiliger Mainstream. Zudem gehen Pitchs immer auf Kosten bestehender Kunden. Denn um zu gewinnen, schicken die Agenturen ihre besten Leute in die Schlacht. Diese fehlen dann während des Pitchs bei den bestehenden Mandaten.

Sind Sie erfolgreicher, weil Sie früher auch privat ein Paar waren? 

Ruf: Durchaus möglich. Der Erfolg jeder inhabergeführten Agentur hängt davon ab, wie die Inhaber zusammen klarkommen. Da ist es ein Vorteil, wenn man sich bereits in- und auswendig kennt. Eine Geschäftspartnerschaft ist fast intensiver als eine Ehe.

Sie mussten ja auch ein Coaching beanspruchen. 

Lanz: Das war für mich eine Bedingung, um mich vor neun Jahren auf das berufliche Abenteuer mit Markus einzulassen. Wir sind beide Alphatierchen und lernten durch das Coaching, nicht gegenseitig in unseren liebevoll gehegten Gärtchen rumzutrampeln.

Ruf: Ich war anfangs skeptisch gegenüber dem Coaching. Wie jeder normale Mann finde ich den Ausdruck «an sich arbeiten» grässlich. Im Nachhinein muss ich aber zugeben: Es hat sich gelohnt.

Lanz: Heute ist unsere Agentur wie unser Kind. Mit allen Sorgen und Freuden.

Hängt der Erfolg Ihrer Kreativität von der Zusammenarbeit ab?

Lanz: Der Erfolg unserer Kreativität hängt einzig davon ab, dass uns kein Ziegelstein auf den Kopf fällt. Wir können’s beide auch alleine – aber als Team ergänzen wir uns ideal. Zudem habe ich Markus lieber als Geschäftspartner denn als Konkurrenten.

Reden Sie sich gegenseitig drein? 

Ruf: Nein. Aber keine Kampagne geht zum Kunden, bevor der andere sie nicht auch gesehen hat. Jeder von uns hat ein Vetorecht.

Wird es oft ausgeübt? 

Lanz: Praktisch nie. Wir haben eine hohe Übereinstimmung. Wenn wir diese nicht hätten, würde es gar nicht funktionieren.

Bei diesen Radio-Quiz, in denen man rausfinden muss, was der Partner am Sonntag am liebsten tun würde, hätten Sie also die totale Übereinstimmung?

Ruf: Nein, privat würden wir kläglich scheitern. In dieser Beziehung ticken wir völlig unterschiedlich.

Ein Werber provoziert oft die Aussage der anderen, kreativ könne doch jeder sein. 

Ruf: Das hört man oft. Die Frage ist aber, ob man unter Zeitdruck kreativ sein kann, um eine ganz bestimmte Aufgabe zu lösen. Und dies nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wer in einer Runde die flottesten Sprüche klopft, ist deshalb noch lange nicht für die Werbebranche geschaffen. Einmal sagte mir ein Kunde: «Wenn Sie und ich zusammen eine Flasche Whisky kippen würden, hätten wir am Ende eines fröhlichen Abends doch vier, fünf tolle Kampagnen.» Ich bin sicher, dass wir sie am nächsten Morgen nicht mehr so toll finden würden.

Sie haben viele langjährige Kunden wie die VBZ, die Suva oder die Bank Coop. Das ist eher ungewöhnlich. 

Lanz: Es zeigt, dass es uns gelingt, unsere Kunden immer wieder mit frischen Ideen zu überraschen. Wenn man heute am dichten Fahrplan der VBZ rumstudiert, kommt man auf ganz andere Ideen als vor ein oder zwei Jahren. Das Hirn saugt ja immer wieder neue Eindrücke auf.

Ruf: Zudem spüren unsere Kunden, dass der Chef und die Chefin noch selber kochen. Man sieht uns nicht nur bei der ersten glanzvollen Präsentation, sondern erlebt uns nachher auch im täglichen Job. Darum haben wir wahrscheinlich von allen Werbern das höchste Golf-Handicap.

Wo kommen Ihnen die Ideen?

Lanz: Sicher nicht im Büro beim konzentrierten Nachdenken. Ich muss in einer Umgebung sein, in der sich Leute bewegen, in der etwas läuft. Das regt mich an. Die anderen Tricks verrate ich natürlich nicht.

Ruf: Ich hingegen brauche Ruhe. Im Gegensatz zu Danielle bin ich auch der Nachtmensch. Tagsüber ist die Inkubationszeit, aber die wirklich zündenden Ideen kommen meistens zwischen 22 und 1 Uhr. Gute Ideen halten sich nicht an Bürozeiten.

Der Erfolg von Werbekampagnen ist selten klar messbar. Beunruhigt das die Kunden? 

Ruf: Unsere Kunden wissen, dass Werbung nur einer von mehreren Faktoren ist für den Erfolg. Wenn die Velohelm-Tragquote in der Schweiz in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, können wir dies leider nicht allein auf unsere Suva-Präventionskampagnen zurückführen. Schliesslich werden auch die Helme immer leichter und modischer. Und dass in Zürich von Jahr zu Jahr mehr Leute vom Auto auf die VBZ umsteigen, hat auch mit den guten Verbindungen zu tun. Und mit den vielen Politessen!

Lanz: Bei der Bank Lienhardt & Partner würden wir auch gerne sagen, dass der Neugeldzufluss allein auf unsere treffende Werbung zurückgeht. Fairerweise muss man zugeben, dass der Erfolg auch der UBS zu verdanken ist. Aber ohne die Kampagne hätten die verunsicherten Kunden wohl nicht an Lienhardt & Partner gedacht.

Welche Trends in der Werbung stellen Sie fest? 

Ruf: Seit einigen Jahren wird Werbung immer visueller. Man versucht, die Botschaften möglichst verblüffend in Bildern zu dramatisieren und mit einem lakonischen Sätzchen aufzulösen. Ausgelöst wurde dieser Trend in Brasilien, wo die Analphabeten-Quote hoch ist. Jeder Trend ist natürlich auch eine Einladung, ihn gekonnt zu brechen. Die englische Kampagne für den Economist ist das beste Beispiel dafür. Da stand mal auf einem Plakat: «A poster should contain no more than eight words, which is the maximum the average reader can take in at a single glance. This, however, is a poster for Economist readers.»

Wann erscheint das Buch von Ruf Lanz: «Wie bin ich erfolgreich kreativ?» 

Lanz: Nie! Es würde höchstens mal ein Buch mit dem Titel «Idee schlägt Geld» erscheinen. Das ist unsere Agentur-Philosophie. Man kann sich Aufmerksamkeit erkaufen, oder man kann Aufmerksamkeit erwerben. Wir haben uns für die zweite Strategie entschieden.

Danielle Lanz, Markus Ruf

 

Die Werbeagentur Ruf Lanz wurde von den Creative Directors Danielle Lanz und Markus Ruf gegründet. Mit zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen sind sie das meistausgezeichnete Kreativteam der Schweizer Werbebranche. Dass das Duo so gut zusammen funktioniert, ist keine Selbstverständlichkeit, waren die 41-jährige Danielle Lanz und der 47-jährige Markus Ruf doch während sieben Jahren auch privat liiert, und jedermann sagte voraus, dass die gemeinsame Agentur ein hochriskantes Unterfangen sei. Nur schon die Namensfindung gab Anlass zu skeptischen Werweissungen: Warum steht Ruf vor Lanz, und dominiert dadurch der männliche Partner? «Wir haben einfach nach dem Klang geurteilt und sind zum Schluss gekommen, dass Ruf Lanz etwas runder tönt», sagen die beiden. Markus Ruf präzisiert: «Man kann meinen Namen in dieser Kombination ja auch als Imperativ verstehen – ruf die Lanz!» Die Agentur feiert nächstes Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Langjährige Kunden der renommierten Kreativen sind unter anderen die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ), die Suva und die Bank Coop. (eg)

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